von Kantor David Bertschinger
Auf bedrückende Weise ist das Thema des Werks, das wir am Karfreitag aufführen werden, in diesen Tagen und Wochen ganz aktuell: Wie können wir mit dem menschlichen Leiden umgehen, das uns begegnet? Vielleicht zuerst einmal, indem wir versuchen mitzufühlen. Das Mitleiden hilft uns, das Leiden von andern zu begreifen, es für uns nachvollziehbar zu machen.
Das Mitleiden an Jesu Leidensgeschichte gehört zum Verständnis und zum Grundgefühl barocker Frömmigkeit. So sind viele Passionsmusiken dieser Zeit nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch durchdrungen von «compassio». Auch Dieterich Buxtehudes «Membra Jesu nostri» ist von einer ganz verinnerlichten, demütigen, sich verneigenden Haltung und Stimmung geprägt. Inspiriert von der mittelalterlich-mystischen Dichtung des Zisterziensermönchs Arnulf von Löwen (ca. 1200 – 1250) wird in einer Art musikalischer Bildbetrachtung des toten Leibes Jesu gedacht. In sieben kurzen Kantaten wird je ein Körperglied (membrum) betrachtet, darüber sinniert, die Situation reflektiert – und es wird gleichsam mitgelitten. Dafür verwendet Buxtehude die modernsten kompositorischen Mittel seiner Zeit: Lautmalerische, barocke Affekte und dynamische Kontraste finden ebenso ihren Platz wie melodiöse Ruhe und konzertanter Klang.
Der in Winterthur wohnhafte Komponist Burkhard Kinzler hat für diesen Zyklus sechs kleine instrumentale Intermedien geschrieben, welche die sieben Kantaten miteinander verbinden. Er tut dies in grosser Achtsamkeit vor dem Werk Buxtehudes und in sehr subtiler Weise. Die kurzen Kompositionen erklingen mit den musikalischen Figuren und dem Gestus barocker Zeit, aber durchaus in der persönlichen, zeitgenössischen Sprache des heutigen Komponisten. Kinzler schreibt: «… durch die leichte klangliche Brechung zwischen Buxtehudes Kantaten soll die Modernität von dessen Musik schärfer und deutlicher hervortreten – dadurch, dass sie von heute her beleuchtet und damit in ein anderes Licht gestellt werden».
Mögen an unserem Konzert die Kantaten leuchten, die Intermedien tragen und verbinden und die alten und neuen Klänge uns alle aus dem Karfreitag hinaus zu Ostern begleiten!